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Die EM 2009 aus der Sicht eines freiwilligen Helfers

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Kommentar zur Liebherr Tischtennis Europameisterschaft 2009 in Stuttgart

Als vor fast einem Jahr die Nachricht auf tischtennis.de im Internet abzurufen war, dass der Deutschte Tischtennis Bund (DTTB) für die in 2009 stattfindenden kontinentalen Titelkämpfe in der Mannschaft, im Einzel und im Doppel in Stuttgart noch freiwillige Helfer – neudeutsch: „Volunteers“ – suchte, stand für mich fest, mich dort auf einen Posten zu bewerben. Man teilte mir unmittelbar nach der Bewerbung mit, dass all diejenigen, die sich auch für die Aufbautage und die komplette Veranstaltungswoche zur Mithilfe bereit erklären würden, auch höchstwahrscheinlich angenommen werden. Da ich mich für die kompletten zwei Wochen vom 7. bis zum 21. September angemeldet hatte, erhielt ich die definitive Zusage wie alle anderen Helfer auch im Frühjahr 2009.

Obwohl mir immer wieder sowohl greifbare als auch elektronische Post seitens der vom DTTB zur Durchführung dieser Großveranstaltung beauftragten Tischtennis Marketing GmbH (TMG) zugeschickt wurde, war ich recht gespannt, was bei der EM alles auf mich zu kommen sollte. Der Bereich, für den ich während und an den beiden Tagen vor dem Turnier eingeteilt wurde, war der Transport-Service. Insgesamt 23 Fahrerinnen und Fahrer und 15 großräumige Pkws standen den vier Bereichsleitern und Koordinatoren in zwei Schichten zur Verfügung, um sowohl Spieler und Trainer als auch Funktionäre, Ehrengäste, Journalisten und Unparteiische aller 47 teilnehmenden Länder von A nach B zu bringen oder Besorgungsfahrten zu erledigen.

Die ersten drei Tage ab Montag dem 7. September war ich jedoch im Aufbau und im Catering tätig. Unter Aufbau waren in meinem Fall hauptsächlich die Herrichtung und der Zusammenbau des Bodens, der Tische, Banden, Zähltische und -geräte und der Handtuchboxen zu verstehen. Dabei musste jede einzelne Bande neu zusammengesteckt und mit einer druckfrischen Werbeplane ausgestattet werden und die Handtuchboxen in einer Art IKEA-Bastel-Wettbewerb einzeln zusammengebaut werden – eine sehr mühselige Arbeit, wenn man bedenkt, dass für die EM in Porsche-Arena und Hanns-Martin-Schleyer-Halle insgesamt 44 Tischtennistische aufgebaut wurden. Aber zusammen mit den circa 30 weiteren Helfern, die sich ebenfalls schon für die Aufbautage angemeldet hatten, war die Motivation größer. Und immerhin bestand im Anschluss die Möglichkeit, in der Schleyer-Halle selbst an die Tische zu gehen und den Schläger zu schwingen, was auch von vielen ausgiebig genutzt wurde.

Im Catering ging es an den ersten Tagen noch nicht sehr hektisch zu. Das sollte sich mit dem Beginn der Wettbewerbe ändern, als plötzlich ca. 250 Volontäre zu versorgen waren - das Mittagessen für die Sportler und weiteren Akkreditierten wurde jedoch extern organisiert. Beim Mittagessen saß ich öfters auch gleich neben der deutschen Nationalmannschaft. Im sogenannten „Chill-Out-Room“, in dem sich die Helfer treffen und von den Strapazen erholen konnten, wurden durch den eigenen Catering-Dienst zu den übrigen Tageszeiten stets belegte Brötchen und kalte Getränke bereitgestellt. Ab und zu gab es nachmittags auch Kuchen oder andere Süßigkeiten. Der Hauptsponsor Bionade machte es außerdem möglich, sich unbegrenzt Getränke aller sechs Geschmacksrichtungen zu bedienen.
 
Die deutschen Athleten waren die ersten, die bereits donnerstags in Stuttgart anreisten und dadurch auch frühzeitig ihre ersten Trainingseinheiten auf den vier Centre-Courts in der Porsche-Arena absolvieren konnten. Für die Abholung der Trainer, Spieler und des restlichen Teams kam der Transport-Service zum Einsatz. Ich selbst bekam den Auftrag den 22-jährigen Nationalspieler Patrick Baum vom Bahnhof ins Maritim-Hotel zu bringen. Im Übrigen fanden die meisten Fahrten zwischen Bahnhof, Flughafen bzw. den Hotels und der Sporthalle statt. Neben den Fahrdienst-Autos gab es zusätzlich einen regelmäßigen Busverkehr zwischen den Hotels und der Porsche-Arena. Dort pendelten circa im 30 Minuten-Takt die angemieteten großen Busse.

Im weiteren Verlauf der Anreise, der gesamten Veranstaltung und der anschließenden Abreise musste bzw. durfte ich immer wieder Sportler und andere Akkreditierte aus verschiedensten Ländern fahren. So z.B. auch einen Teil des weißrussischen Teams, wobei ich mich während der Fahrt mit Vladimir Samsonovs Trainer Pietkevich über Vladis Chancen im Herren-Einzel unterhielt und über die Mitfavoriten auf den Titel. Aber auch genauso interessant waren beispielsweise die Fahrten mit der türkischen Damennationalmannschaft, mit einigen griechischen Spielern oder auch mit dem Hallensprecher, der bereits 1992 bei der letzten EM in Stuttgart dabei war, als Jörg Rosskopf in einem packenden Finale gegen Jean-Michel Saive in der Schleyer-Halle als erster Deutscher Europameister im Herren-Einzel wurde.

Neben den Fahraufträgen blieben mir vor allem gegen Ende der Wettkämpfe immer mehr größere Pausen, die ich nutzte um mich mit meinem Akkreditiertenausweis in den Sportlerblock in der Porsche-Arena zu setzen und die Wettbewerbe zu verfolgen. Natürlich versuchte ich vor allem die deutschen Spieler anzufeuern – wie viele weitere Zuschauer auch. Die Stimmung war immer hervorragend. Natürlich war die Freude am 17. September sehr groß, als die Herren-Nationalmannschaft mit einem knappen 3:2 über Dänemark dank der ausgeglicheneren Mannschaftsleistung zum dritten Mal in Folge Europameister im Team-Wettbewerb werden konnte. Auch die Damen schnitten mit ihrem fünften Rang gut ab und waren die einzigen, die mit ihrem 2:3 gegen die späteren Europameisterinnen aus den Niederlanden diese an den Rand eine Niederlage brachten. In der Gruppenphase fehlt dazu lediglich ein Satz.

Ich hatte mir zudem vorgenommen, gerade auch die jungen Nachwuchsspieler anzusehen und anzufeuern. Dabei fiel mir vor allem der 17-jährige Bundesligaspieler der TG Hanau Patrick Franziska positiv auf. Dank des größeren Meldekontingents der ausrichtenden Nation gab der DTTB ihm die Chance im Dress der Nationalmannschaft zu spielen. Er überstand in einem abwechslungsreichen und schön anzusehenden Spiel die Qualifikation knapp mit 4:3 und spielte dann in der Porsche-Arena auf dem Fernsehtisch 1 die erste Runde gegen den wesentlich höher in der Europarangliste eingestuften Polen Chmiel. Durch die tolle Kulisse angetrieben gewann er diese Partie mit 4:2 und schied erst in der zweiten Runde gegen den französischen Altmeister Damien Eloi mit 1:4 aus, gegen den er zu spät ins Spiel fand aber am Ende doch recht gut mithalten konnte. Auch der zweite junge Deutsche, der ebenfalls 17-jährige Philipp Floritz überstand die Qualifikation mit 4:0, traf dann jedoch auf den tschechischen Bundesligaspieler des TTC Zugbrücke Grenzau, Tomas Pavelka. In allen ersten drei Sätzen hatte der junge deutsche Akteur aus der 2. Bundesliga gute Chancen auf einen Satzerfolg. Doch die Erfahrung des Bundesligaprofis Pavelka ließ diesen letztendlich mit 4:0 siegen. Das 15-jährige Küken der Damen-Nationalmannschaft, Petrissa Solja, die bereits im vergangenen Jahr ihre erste erfolgreiche Bundesligasaison bestritt, konnte bei ihren ersten Einsätzen im Erwachsenenbereich im Turnier zwar noch kein Spiel gewinnen, bleibt aber aufgrund ihres Alters weiterhin die größte Nachwuchshoffnung des DTTB. An dieser Stelle sein noch ein Lob auf die jüngste Teilnehmerin Alina Sandul aus Moldawien ausgesprochen: Das erst elfjährige Mädchen überstand sowohl die Qualifikation als auch die erste Runde und verlor erst in der zweiten Runde mit 0:4 gegen die deutsche Spitzenspielerin Wu Jiaduo. Im letzten Satz hatte sie sogar beim 11:10 einen Satzball. Hier gibt es den Link zu einem Video der letzten Ballwechsel des Spiels. Den Namen Sandul wird man sich wohl merken müssen.
 
Die größte Überraschung in meinen Augen war neben der knappen Achtelfinalniederlage Zoltan Fejer-Konnerths im siebten Satz gegen Werner Schlager nach einem sehr guten Spiel und einem wohl unvergesslichen Ballwechsel (auch hier dazu ein Link) am Ende des sechsten Satzes das Erreichen des Viertelfinals durch den jungen Deutschen Ruwen Filus, der ebenfalls bei der TG Hanau spielt. Der 21-jährige Abwehrstratege hatte Größen wie Petr Korbel, Lucjan Blaszczyk und Andrej Gacina im Laufe des Turniers ausgeschaltet, die teilweise über 50 Plätze vor ihm in der Europarangliste stehen und altbekannte Bundesligaspieler sind. Erst der Russe Fedor Kuzmin konnte den jungen deutschen Spieler, der dem Publikum tolle Bälle lieferte und ebenso toll angefeuert wurde, kurz vor den Medaillenrängen stoppen.

Der Titelgewinn des Herren-Doppels Boll/Süß am Samstag war zwar bei Leibe kein Selbstläufer, der Sieg war jedoch verdient, da sich die bewährte Kombination von Spiel zu Spiel steigern konnte. Dabei sei auch ein Lob an die polnischen Gegner im Finale ausgesprochen, die das hohe Niveau größtenteils mitgehen konnten und das Finale zu einem sowohl taktisch als auch spielerisch hervorragenden Match werden ließen. Boll/Süß konnten damit als erstes Doppel überhaupt bei einer EM zum zweiten Mal ihren Titel verteidigen. Ins Halbfinale zog nach einem Spiel mit Höhen und Tiefen überraschend die Damenkombination Barthel/Silbereisen ein und feierte damit mit der Bronzemedaille ihren bislang größten Erfolg. Leider verspielten sie im Halbfinale trotz 3:0-Führung den Finaleinzug.
 
Ein wenig überraschend aber umso erfreulicher endete aus deutscher Sicht der Damen-Einzelwettbewerb: Wu Jiaduo, die am Viertelfinalsamstag noch ihren 32. Geburtstag gefeiert hatte, konnte sich am Tag darauf selbst das größte Geschenk machen. Sie wurde nach einem souveränen 4:0-Viertelfinalsieg über ihre ungarische Mannschaftskameradin Christina Toth, einem hart erkämpften 4:3-Halbfinalsieg über die weißrussische Abwehrstrategin Victoria Pavlovich und einem klaren und verdienten 4:0-Finalsieg über die erst 18-jährige Ukrainerin Margaryta Pesotska Europameisterin – der absolut größte Erfolg ihrer Karriere begleitet von minutenlangen stehenden Ovationen. Damit konnte sie all diejenigen Zuschauer trösten, die noch zuvor die Halbfinalniederlage Timo Bolls gegen den starken Dänen Michael Maze gesehen hatten. Das hochklassige Spiel begann mit einem 3:0-Blitzstart des Dänen. Lediglich im zweiten Satz hatte Boll einen Satzball und damit die Chance auf den Finaleinzug. Obwohl Boll durch begeisterndes Tischtennis und angefeuert von ca. 6300 Zuschauern in dem Hexenkessel Porsche-Arena durch einen Kraftakt wieder auf 3:3 in Sätzen ausgleichen konnte, blieb Maze davon unbeeindruckt und siegte verdient im Entscheidungssatz mit 11:5. Später im Finale krönte der beste Spieler des Turniers seine Leistungen mit einem 4:1 über den österreichischen Exweltmeister Werner Schlager und blieb damit auch in allen Einzel-Spielen der EM ungeschlagen. Herzlichen Glückwunsch auch von meiner Seite zum größten Erfolg des 28-jährigen in seiner bisherigen Karriere.

Nachdem ich zu Beginn meines kommentierten Berichtes mehr auf meine Volontär-Aufgaben eingegangen bin, konnte ich es mir in den letzten Abschnitten nicht verkneifen, auch die von mir beobachteten Spiele zu beschreiben, da diese Teil meiner Erinnerungen sind und bleiben werden. Genauso sind dies aber auch die Geschichten der „alten Hasen“ im Volunteer-Geschäft, wie die meines 74-jährigen Bereichsleiters Gerhard Berger beispielsweise, der erstmals 1971 für den DTTB mitorganisierte und bei dieser EM 2009 seinen Abschied feierte. Eine seiner Geschichten ging folgendermaßen: Bei der WM 1989 in Dortmund sei eine exotische Mannschaft angereist, die sich als allererstes nach einem Kaufhaus erkundigte; sie würden doch gerne vor den Wettbewerben noch Tischtennisschläger kaufen… Auch die Geschichten meiner Bereichsleiterin Ilka über den Alkoholkonsum der Alten Schweden Waldner und Persson, die des Öfteren wohl auch von Volunteers auf ihre Hotelzimmer des Nachts getragen werden mussten, blieben mir natürlich im Gedächtnis. Aber auch die EM 2009 bietet wieder viele neue Geschichten, die sich womöglich tatsächlich so zugetragen haben. Da sei nur die durchzechte Nacht Dimitri Ovtcharovs nach seinem frühen Einzel-Aus in der zweiten Runde gegen den eher unbekannten Spanier Machado genannt oder das Techtelmechtel des Europameisters Maze mit der rumänischen Doppeleuropameisterin Daniela Dodean am Abend ihres Erfolges bei einer spontanen Party in der Hotelbar. Beide sollen anschließend gemeinsam auf Zimmer 507 eines bekannten Stuttgarter Hotels verschwunden sein. Offiziell zumindest werden die Wettbewerbe im gemischten Doppel seit letztem Jahr laut ETTU gesondert ausgetragen...
 
Ob diese Geschichten der Wahrheit entsprechen, kann ich zwar nicht belegen, sie machen jedoch den Helfer-Job noch ein wenig interessanter. Am Abend des Finals konnte ich mir jedenfalls noch ein Autogramm vom frisch gebackenen Europameister sichern. Obwohl seine Trainer es eilig hatten, meinte Maze nur kurz auf Deutsch: "Heute hab' ich Zeit!" Außerdem wurde noch ein großes Gruppenfoto aller Volunteers gemacht. Neben dem Catering und dem Transport-Service gab es nämlich noch etliche weitere Bereiche wie Court-Service, Breitensportbetreuung oder Hostessendienst, um nur einige zu nennen. Alles in allem war die Veranstaltung zwar anstrengend, es hat mir allerdings auch einen Reisenspaß bereitet. Außerdem bleiben mir zusätzlich zu den schönen Erinnerungen auch ein Trainingsanzug, zwei T-Shirts, ein Polo-Shirt und eine Sporttasche, die alle Volunteers neben einem Satz Freikarten für die komplette Veranstaltung, die ich unter Freunden verteilte, und einer Tagesvergütung von 7,50 Euro von den Hauptsponsoren bekommen haben. Übrigens: Sobald mir mehr Bilder über die EM zur Verfügung stehen, werde ich die natürlich in die Galerie mit aufnehmen.
 
Fabian Mades, 22. September 2009
Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 23. September 2009 um 13:13 Uhr  

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